Sturmsommer by Bettina Belitz

Sturmsommer by Bettina Belitz

Autor:Bettina Belitz [Bettina Belitz]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-01-22T23:00:00+00:00


DER BRiEf

Heute ist alles anders. Beim letzten Mal saß ich hier und in meinem Kopf war Leere. Jetzt ist mein Kopf voll. Zum Bersten voll. Er tut weh. Weil ich weiß, dass die Zeit nicht ausreichen wird, um all das zu notieren, was sich an Zahlenpyramiden in ihm auftürmt. Ich spüre, wie eine Schweißperle unter meinem Arm an meinen Rippen herunterläuft. Ich schwitze, meine Finger kleben und mein Mund ist trocken. Aber immerhin schreibe ich.

Im Traum ist mir Lara begegnet. Ich kam in die Box zu Damos und Lara lag in der Futterkrippe, in einem langen weißen Taufgewand, und strahlte mich an. Aber Damos war weg und ich gruselte mich. Als ich aufwachte, rumorte es in meinem Bauch, bevor ich registrierte, dass heute der Tag ist, vor dem ich seit so vielen Stunden Angst hatte. Ich dachte, ich könnte nicht in die Schule gehen, so schlecht war mir. Aber mir war auch klar, dass ich das niemandem sagen konnte. Dass niemand Verständnis haben würde. Dass ich einfach muss. Kotze ich der Frau Schilfer eben auf den Tisch, von mir aus, dachte ich. Dann sehen die, was sie mit mir anstellen. Was dieser verdammte Druck bringt. Ich sagte mir das immer wieder und nach und nach ging es mir etwas besser.

Die erste Aufgabe schaffe ich einfach nicht mehr. Zu wenig Zeit. Ich wusste nicht gleich den Lösungsweg, deshalb hab ich mit der zweiten angefangen. Die fünfte kann ich nicht lösen. Aber alle anderen habe ich ausgerechnet, mit Tanjas Formel. Sie sitzt vor mir und scheint schon fertig zu sein. Toni neben mir wagt nicht, mich anzuschauen. Ich muss furchtbar ausgesehen haben, als ich ins Klassenzimmer kam.

Noch drei Minuten. Okay, das, was ich habe, muss reichen. Was ich jetzt noch rechne, macht auch nichts mehr gut. Mein Magen zieht sich heftig zusammen. Auf einmal merke ich, dass ich Hunger habe. Und was für einen Hunger. Ich muss an ein Steak denken und bin mir sicher, dass ich nicht mehr bis zum Mittagessen warten kann. Endlich wieder Hunger. Ich lehne mich zurück und spüre, dass mein Nacken schmerzt. Ich bewege vorsichtig meinen Hals. Der Schmerz wandert schneidend bis in die Schläfen.

Erst als Frau Schilfer die Arbeiten eingesammelt hat, traut sich Toni, mich anzublicken. Er schaut, als hätte er Angst vor mir. »Und?«, fragt er vorsichtig. Im selben Moment sehe ich aus den Augenwinkeln, dass Tanja sich ebenfalls zu mir umdreht. »Was und?«, sage ich und versuche so ausdruckslos wie möglich zu gucken. Das habe ich in den vergangenen Wochen so oft geübt, dass es mir eigentlich mal glücken könnte. Mit den Augen gebe ich ihm eines von diesen Zeichen, die nur Leute verstehen, die sich schon Jahre kennen.

Ich weiß nicht, ob er es kapiert, aber er blickt still zu Boden. Ich drehe mich wieder um und merke, dass Tanja immer noch zu mir rübersieht. Ich schaue durch sie hindurch, so gut ich kann. Also nicht besonders gut. Sie hat Augen, die man schlecht ignorieren kann. So - ach, ich weiß auch nicht. Ich vermeide es, da hineinzugucken.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.